16:45 Uhr Führung, 18:00 Uhr, 4. Rang, Sektion R4MI, Reihe 1, Platz 32
Nicht per Rosenkavalier-Sonderzug, sondern in gänzlich unfestlicher Regionalbahn geht es von Chemnitz zur Uraufführungsstätte an die Elbe. Diesmal keine Zeit für Sandsteinromantik und Canaletto-Blick, dafür umso mehr Vorfreude auf eine luxuriöse Besetzung und die Thielemannsche Wunderharfe. Eine kleine Führung durch die ehrwürdigen Hallen sorgt für die nötige Einstimmung. Leider eine etwas oberflächliche Angelegenheit, will sagen man tapert nicht wie in der Lindenoper auch durch die Eingeweide von Bühnenbereich, Garderobe oder Fundus, sondern bleibt hübsch im Stucco lustro- und Scagliola-Glanz der ohnehin zugänglichen Räumlichkeiten. Dafür gab’s auch hier ne Menge Hintergründe und Anekdoten von der netten Dame.
Als mit typisch germanischen Nörgelgenen Geschlagener ist dieses Haus natürlich ein Ort schier zum Verzweifeln – man findet keine Schwachstelle. Optisch, atmosphärisch, künstlerisch ... doch halt, einen Kritikpunkt konnte ich doch in mühevoller Kleinarbeit isolieren: Die Brezeln sind zu trocken! Echt jetzt. So! Nimm dies, Semperoper, Hain der Makellosigkeit! ... Nein, nein, es ist müßig zu bohren – die Qualität, die ich hier unter dem güldenen Kronleuchter mit den spiegelverkehrten Sachsen-Wappen genießen durfte, verdient ohne wenn und aber das altmodische Gütesiegel Weltklasse. Da knirscht der Pfeffersack mit den Zähnen, da ehrfürchtet der Wahl-Hanseat.
Auch vor einer Regie, so unprätentiös und gleichzeitig so klar und fesselnd, wie man es sich nur träumen kann. Ein neuerlicher Beleg, daß eine klassische Umsetzung, die „nur“ das vorhandene Textbuch inszeniert, alles andere als ein Ausdruck von Einfallslosigkeit sein oder gar Langeweile zur Folge haben muß. Schon allein die visuelle Ausgestaltung des Vorspiels der Oper – Das Paar kommt von Fest und Liebe berauscht nach Hause und teilt das Bett bis zum Morgengrauen – ist eine Miniatur inszenatorischer Raffinesse. Das lebendige Spiel der Darsteller, der Lichtwechsel zum Sonnenaufgang – das macht alles Sinn und sieht dabei auch noch verdammt gut aus. Was man im Folgenden der ganzen Aufführung bescheinigen kann.
Und wenn sich dann zu dramaturgisch-visuellem Glanz ein entsprechendes auditives Vergnügen gesellt, entfaltet sich daraus eine Wirkung, die den Bereich des Unwiderstehlichen eröffnet. Frau Schwanewilms sorgt als Marschallin – so zart, so fein, so mild, so edel, oder einfach: himmlisch – in Kombination mit Thielemanns subtiler Führung und dem Samt der Staatskapelle für Momente, im Augenblick ihrer Entstehung als so kostbar empfunden, daß mir auch noch die dickste Portion Pathos bei der Nacherzählung und Einordnung mager erscheint. Oder: Wohl dem, der Euphorie sucht und sie tatsächlich findet.
Mit welcher Intensität und Wärme Frau Schwanewilms die Selbstreflektion der „Resi“ über sich und die Zeit rüberbringt – wobei diese Leistung eigentlich wenig mit „rüberbringen“, als vielmehr mit „sein“ zu tun hat – das geht einfach zu Herzen. Und dann dieses Pianissimo – traumhaft! Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle auch die verblüffend präsente Akustik im 4. Rang – faszinierend, welche Feinheiten es in diesem herrlichen Saal hinauf bis unters Gebälk schaffen!
Elīna Garanča als Octavian und Anna Prohaska als Sophie komplettierten das makellose Terzett-Personal, wobei mir die Berliner Kombination Kozená/Prohaska noch etwas mehr zusagte. Geschmackssache. Peter Rose wie gewohnt souverän. Generell tut seine Interpretation dem Ochs ausgesprochen gut, weil er die Rolle über das belächelbar Tölpelhafte hinaus mit etwas unberechenbar Linkischem, fast schon Dämonischen anfüllt, wodurch der Baron-Bauer deutlich mehr ernsthafte Gefahr für das junge Glück ausstrahlt. Und das besondere Nebenrollen-Bonbon: Kein Geringerer als Bryan Hymel schmachtete zum Lever.
Fazit: Nach den wunderbaren Abenden in Bremen (
Link) und Berlin (
Link) nun schon die dritte Rosenkavalierbegegnung der Spitzenklasse in Folge. Dreimal anders, dreimal erfüllend – mal sehen, wie lange diese Serie hält.
Richard Strauss – Der Rosenkavalier
Musikalische Leitung – Christian Thielemann
Inszenierung – Uwe Eric Laufenberg
Bühnenbild – Christoph Schubinger
Kostüme – Jessica Karge
Chor – Paolo Assante
Die Feldmarschallin, Fürstin Werdenberg – Anne Schwanewilms
Der Baron Ochs auf Lerchenau – Peter Rose
Octavian, ein junger Herr aus großem Haus – Elīna Garanča
Herr von Faninal, ein reicher Neugeadelter – Martin Gantner
Sophie, seine Tochter – Anna Prohaska
Jungfer Marianne Leitmetzerin, die Duenna – Irmgard Vilsmaier
Valzacchi, ein Intrigant – Thomas Ebenstein
Annina, seine Begleiterin – Helene Schneiderman
Ein Sänger – Bryan Hymel
Der Haushofmeister bei der Feldmarschallin – Kenneth Robertson
Ein Notar – Mathias Henneberg
Der Haushofmeister bei Faninal – Tom Martinsen
Ein Tierhändler – Mert Süngü
Ein Wirt – Dan Karlström
Eine Modistin – Nadja Mchantaf
Ein Polizeikommissar – Peter Lobert
Ein Hausknecht – Hans-Ulrich Ohse
Kellner – Markus Hansel, Klaus Milde, Andreas Heinze, Andreas Burghardt
Die adligen Waisen – Elisabeth Zharoff, Norma Nahoun, Barbara Senator
Leopold, Sohn des Ochs – Dirk Wolter
Die Lerchenauischen – Alexander Födisch, Michael Wettin, Thomas Müller, Mirko Tuma, Werner Harke, Holger Steinert
Die Lakaien der Marschallin – Jun-Seok Bang, Norbert Kleese, Ingolf Stollberg, Matthias Beutlich
Der kleine Mohr – Leonardo Cruz
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Sächsische Staatskapelle Dresden
Mitglieder der Komparserie
Mitglieder des Kinderchores