
Hector Berlioz – Ouverture du Corsaire op. 21
Pierre Boulez – Mémoriale / ... explosante-fixe ... originel
Pierre Boulez – Livre pour cordes
(Pause)
Hector Berlioz – Symphonie fantastique /
Épisode de la vie d’un artiste op. 14
Zugabe: Gabriel Fauré – Pavane op. 50
Ich würde mich ja gern mal mit jemandem unterhalten, der sagt: „Also Boulez ist mein absoluter Lieblingskomponist!“ Mir erschließt sich durchaus ein gewisser Reiz dieser Musik, aber der bewusste Verzicht auf Melodik und vor allem auf ein Harmoniegefüge, in dem greifbare Tonalität eine Rolle spielt, machen es mir schwer, die nötige Konzentration aufzubringen und unmöglich, von dieser Musik berührt zu werden. Aber vielleicht ist das eben gar nicht der Sinn der Übung, daher mein Interesse daran, was wohl ein ausgemachter Boulez-Fan aus seinen Werken ziehen mag. Faszination an der Komplexität? An den Feinheiten der Klangkombinationen?
Ich persönlich konnte dem differenzierten Klanggewebe insgesamt, der mannigfaltigen Behandlung der tonangebenden Querflöte oder einzelnen akustischen Wirkungen, wie den seltsam unwirklichen Einsätzen des Horns, definitiv etwas abgewinnen – aber warum sollte man sich als Komponist derart selbst beschneiden? Wo das erste Werk mit seiner kleinen, aber vielseitigen Besetzung noch zumindest jene interessanten Klangwirkungen bietet, verliert mich das zweite Stück für Streichorchester vollends, zumal mir der Einsatz der Streicher hier alles andere als innovativ vorkommt. Aber auch da könnte mich der Boulez-Experte sicher eines Besseren belehren. Die intellektuelle Herausforderung hat sicher einen großen Anteil daran, warum ich mich gern und intensiv mit Musik auseinandersetze, ohne die emotionale Komponente bleibt eine Beschäftigung jedoch für mich mehr oder weniger reiz- und fruchtlos.
Dann doch lieber Reize in Hülle und Fülle sowie körbeweise Früchte in allen Geschmacksrichtungen aus der kompositorischen Lese des geliebten Hector Berlioz! Was habe ich mich darauf gefreut, die Sinfonie endlich wieder einmal live zu erleben. Und gleich eingangs mit der Korsaren-Ouvertüre lässt Pappano keinen Zweifel daran, dass das Werk des französischen Powerplayers hier und heute bei ihm und dem Londoner Ausnahmeorchester in den besten Händen liegt. Explosiv, spritzig, federnd, mit dem gebührenden Schmelz in den entsprechenden Passagen – raue See und Wildromantik, wie sie für einen Freund der Kontraste auf allen Ebenen wie mich nicht elektrisierender hätte ausfallen können.
Und nach der Pause greifen Dirigent und Klangkörper diesen Elan mit der Episode aus dem rauschhaft-berauschenden Künstlerleben nahtlos auf und liefern eine Symphonie fantastique ab, die mich nach dem Furor des Hexensabbats mit einem teuflisch zufriedenen Grinsen in den allgemeinen Begeisterungssturm einstimmen lässt. Das London Symphony Orchestra trägt mit seiner Mischung aus technischer Perfektion und klanglicher Finesse einen großen Anteil daran, obgleich Pappanos Konzept vom ersten bis zum letzten Takt heute einfach unfehlbar scheint.
Ob das Stürmen, Drängen und Sehnen des ersten, der Taumel und die Eleganz des zweiten, die Mahler und Co. vorwegnehmende Innigkeit und Tiefe der Außenwelt/Innenwelt-Illustration des dritten, das Unaufhaltsame des vierten oder das Archaische, scheinbar Chaotische und doch gleichzeitig so unfassbar kinnladensprengend Virtuose des fünften Satzes – es hat an diesem Abend einfach alles gepasst. Ich vergöttere dieses Stück und bin sehr froh, es heute so erlebt haben zu dürfen, wie ich es mir in den schönsten (Fieber-)Träumen erhofft hatte. Und das ganz ohne Opium, wohlgemerkt.