7. Oktober 2025

London Symphony Orchestra. Sir Antonio Pappano. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 1, Platz 13



Benjamin Britten – Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 15
Zugabe: Johann Sebastian Bach – Sarabande,
aus: Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004

(Pause)

Aaron Copland – Sinfonie Nr. 3
Zugabe: Jean Sibelius – Valse triste op. 44 Nr. 1

London Symphony Orchestra
Janine Jansen – Violine
Dirigent– Sir Antonio Pappano



Heute zur Abwechslung mal kein Abotermin, sondern eines der mittlerweile rar gewählten Einzelkonzerte. Ich habe mich gefühlt seit Verkündung des Saisonprogramms darauf gefreut und mir umgehend bei Verkaufsstart ein Ticket in bester Lage gesichert – trotz des happigen Goette-Tarifs. Mir ist in solchen Fällen natürlich bewusst, dass Premium-Preise keine Garantie für Premium-Erlebnisse bedeuten, aber wann erhält man schon mal die Gelegenheit, gleich zwei absolute Lieblingswerke in der Traumakustik der Elphi dargeboten zu bekommen, die nur äußerst selten den Weg auf die Spielpläne finden, und dann auch noch in potenzieller Topbesetzung – die Kombination LSO/Pappano wusste erst im Juni mit einem referenzgültigen Berlioz zu überzeugen (Link), Frau Jansen habe ich zwar lange nicht gehört (muss noch prä Elphi-Zeit gewesen sein), ist aber in bester Erinnerung abgespeichert. Darüber hinaus hatte ich dieses Konzert dazu erkoren, meine kürzlich immer wieder aufgekommenen Zweifel daran final auf den Prüfstand zu stellen, ob mir Etage 13, Bereich E immer noch als akustische Lieblingsecke taugt. Zusammenfassend also höchste Erwartungen an diesen Abend. Das kann erfahrungsgemäß eigentlich nur zu Enttäuschungen führen.

Umso trauriger, dass es wohl einer dieser unwahrscheinlichen Einhorn-Abende geworden wäre, an denen alles passt – Werkwahl, Interpretation und Ausführung, Atmosphäre im Saal – wenn, ja wenn letztere nicht in den monumentalen Steigerungen des ersten Satzes von Coplands Sinfonie durch ein besonders fehlgeleitetes oder krankes Exemplar der Spezies Störenfried in Tumult zerstoben wäre: es war akustisch nicht zu entschlüsseln, welches Problem der Herr unter dem Dach hatte, der da laut skandierend das Konzert fast zum Erliegen brachte und die Verletzlichkeit des Liveerlebnisses ebenso wie die Hilflosigkeit der Ordner auf das Schmerzlichste offenbarte, aber in diesem Moment habe ich mir gewünscht, das Pappano einfach den Taktstock sinken lässt und mal fragt, ob man die Pfanne heiß hätte.

Segen und Fluch der Professionalität – Pappano ließ nicht sinken und fragte nicht, sondern zog nach einem irritierten Blick nach oben durch. Und natürlich war dann selbst, nachdem der Gummizellenanwärter den Saal schließlich verlassen hatte (hat überhaupt jemand vom Personal eingegriffen?), die Konzentration beim Gros des Publikums inklusive mir im Allerwertesten. So rauschte der wunderbar beschwingt rhythmische zweite Satz an mir vorbei, während ich wieder um Fassung und Fokus rang. Bitter war das so oder so, zum Mäusemelken machte es der Umstand, mit jedem ausgeführten Takt aus Ahnung Gewissheit zu erlangen, dass ich diese von mir hochverehrte, ja heißgeliebte, herbeigesehnte Dritte, so schnell nicht wieder in solch vollendeter Gestalt, man muss es sagen, Perfektion, erleben werde. Dumm gelaufen.

Es fällt schwer, sich nach diesem Tiefschlag mit dem Positiven zu beschäftigen, aber die außergewöhnliche Qualität des Vortrags hat es nicht verdient, vom flüchtigen Schatten eines irrlichternden Spinners verdeckt zu werden. Also noch einmal von vorn. Brittens Werk thront in meinem privaten Violinkonzert-Pantheon auf gleicher Stufe neben den Schöpfungen von Beethoven, Brahms oder auch Sibelius. Gegenüber seinen ungleich bekannteren Geschwistern hat es bei der Allgemeinheit einen naturgemäß schwereren Stand, eben weil es recht selten auf dem Programm steht. Die Einspielung mit Britten selbst am Pult und Mark Lubotsky als Solist habe ich als großer Fan des Komponisten verinnerlicht, von daher war ich sehr gespannt, wie Herr Pappano und Frau Jansen es angehen würden.

Das London Symphony Orchestra unter Pappano ist schlichtweg ein Traum. Abgesehen davon, dass das Ensemble technisch wie klanglich keine Schwachstellen besitzt, stachen für mich das Blech und die Violinen nochmal besonders hervor: kommt es in der Elphi-Akustik bisweilen vor, dass die Streicher, vor allem die Violinen, bei erhöhter Tutti-Lautstärke tendenziell zu schwach wirken, war heute von diesem Effekt nichts zu spüren. Gerade die Geigen hatten heute eine Präsenz, die ihresgleichen sucht – von durchdringender Schärfe bis zum zartesten Tupfer. Da hat Pappano offenbar genau die richtige Balance zwischen den Instrumentengruppen gefunden. Das Blech wiederum hat generell einfach ein Timbre zum Niederknien, speziell wenn es mal richtig zur Sache geht.

Pappanos Interpretation fördert die Kontraste und verschiedenen Aggregatzustände innerhalb der Sätze wie satzübergreifend mustergültig zu Tage, aber natürlich spielt hier auch Frau Jansens Beitrag eine entscheidende Rolle. Hatte ich anfangs einen kurzen Irritationsmoment bezüglich ihrer Intonation (?), zog sie mich schnell mit einer zupackenden, elektrisierenden Lesart in den Bann. Ob bei den zarten, lyrisch-gesanglichen Passagen im Kopf- und Finalsatz, dem aggressiven Wirbel des scherzoartigen zweiten mit seiner wahnwitzigen Kadenz oder einfach im Ausloten einzelner, überirdisch schöner klanglicher Fingerzeige, bot Frau Jansen alles auf, was dieses vermeintlich sperrige Konzert so faszinierend und berührend macht. Das Leitbild ihrer Mitmusiker aufgreifend – Technik und Ausdruck in Perfektion, durch ihr solistisches Ausnahmetalent noch in andere Sphären transformiert. Verblüffender Zufall oder Zugabentradition – Die Bach-Sarabande hatte Frau Jansen auch „damals“ gespielt. Was dem Stück und ihrer Darbietung natürlich nichts an Intensität nahmen.

Coplands Dritte habe ich durch die Einspielung Leonard Bernsteins mit dem NY Philharmonic kennen und lieben gelernt. Vielleicht war die Sinfonie sogar das erste Hauptwerk des Komponisten und nicht das obligatorische (wunderschöne) Appalachian Spring, mit dem ich in Berührung kam. Nach der Beschäftigung mit dem Gesamtwerk des Amerikaners gab es – ganz ähnlich wie bei seinem englischen Kollegen – kein Werk aus seiner Feder, das ich nicht in mein Herz aufgenommen hätte. Auch wenn ich dabei neben Coplands oftmals reich besetzten Orchesterwerken und Balletten seine intimeren Arbeiten für die Kammermusik gleichermaßen schätze, nimmt die dritte Sinfonie doch einen besonderen Platz bei mir ein.

Jeder ihrer vier Sätze ist für sich ein Erlebnis, im narrativen Zusammenspiel der Gesamtanlage ergibt sich eine Offenbarung, die sich in gewisser Weise aus einer geistigen und emotionalen Verwandtschaft mit meinem Sinfoniker-Abgott Mahler speist. Und dabei meine ich weniger die Parallelen, die sich aus der riesenhaften Besetzung mit ausgeprägtem Blech-Schwerpunkt und mannigfaltigem Schlagwerk hier wie dort ergeben (Das LSO bot heute gar 5 Trompeten und 4 Posaunen plus Tuba statt der notierten 4/3/1 auf, was schon einen starken Mahler-6-Vibe mit sich brachte). Ähnlich wie bei Mahler breitet Copland mit seiner längsten, dabei, auf die reine Aufführungsdauer bezogen, vergleichsweise noch übersichtlichen Schöpfung für großes Orchester, mit allen verfügbaren klanglichen Mitteln eine Erzählung ohne Worte vor unseren Ohren aus, die in ihrer unmittelbaren Sprache und emotionalen Tiefe auch ganz ohne Programm im Sinne einer sinfonischen Dichtung ein berührendes, mitunter erschütterndes Tableau entwirft.

Pappano und sein Orchester nehmen uns mit auf diese hochemotionale Reise in einer Darbietung, die in punkto Technik wie Interpretation gleichermaßen unüberbietbar nachhallt. Es erübrigt sich in die Details zu gehen, da sich hier jeder der vier Sätze, ähnlich wie bei Bernsteins Referenzeinspielung, einfach so anfühlt, wie er Copland aus dem Herzen geflossen sein muss:

Der erste Satz mit seinem ruhigen, Wärme und Güte vermittelnden Beginn, fast schon an Mahlers „Wie ein Naturlaut“ aus der ersten gemahnend, bis sich der Konflikt in Form des aufsteigenden Blechmotivs mit Wucht ankündigt – in seinen Eingangsintervallen die erlösende Fanfare aus dem Finale in einer grimmigen Spielart vorwegnehmend. Die überbordende, ja ins Heroische gipfelnde Rhythmik des zweiten, welche die lyrische Episode des Trios einrahmt. Die eindringliche Wiederkehr des Konflikt-Themas im dritten Satz in den klagenden geteilten Streichern, die darauf folgende resignative, an Seufzer erinnernde Linie des Fagotts, begleitet von der Oboe, welche in das Flehen der Streicher übergeht, jäh in sich zusammenfallend.

Eine Ambivalenz aus Ohnmacht und Erwartung durchzieht dieses Andantino, für mich der ergreifendste der Sätze, etwa wenn dann die Flöte wie eine gütig gereichte Hand den Versuch unternimmt, durch die bleierne Schwere einen warmen Lichtstrahl zu senden, aufgegriffen von Oboe, Klarinette und Streichern – ein Moment der Hoffnung. In der Folge wechseln sich Zweifel und zarte Aufbruchstimmung ab. Die einsetzende Steigerung der durchgehend optimistischen, tänzerischen Passage wird wiederum von den Klagemotiven abgewürgt, welche den Satz in Ungewissheit, wie mit einem großen Fragezeichen, verebben lassen.

Die Antwort darauf setzt überirdisch schön die Zuversicht des aufsteigenden Fanfarenthemas, zuerst unwirklich zart von den Flöten und Klarinetten präsentiert, bis es vom strahlenden Blech zu triumphaler Pracht erhoben wird. Kämpferische und ungetrübt freudenvolle, überbordend tänzerische Elemente schrauben sich in ungeahnte Höhen, ehe die Entwicklung durch den Einfall harscher Dissonanzen ihr vorläufiges Ende findet. Die Zweifel sind zurückgekehrt, der Satz kommt fast zum Stillstand. Es obliegt wiederum den Flöten und übrigen Holzbläsern, den Keim für die endgültige Auflösung aller Konflikte und Fragezeichen zu pflanzen. Ein irisierender Klangzauber hält Einzug, begleitet von den Harfen und der Celesta, der Beginn der Sinfonie wird aufgegriffen, ein Funkeln und Schweben, Assoziationen an einen Flug über glitzernde Wellen stellen sich bei mir ein, bis dieses großartige Werk schließlich mit den finalen Steigerungsformen der Fanfare seinen krönenden Abschluss findet. Dankbarkeit.

Ach ja, da war noch was: Der angekündigte akustische Härtetest für E 13 geriet angesichts dieser epochalen Darbietung fast in den Hintergrund. Ob es hier wirklich einen Unterschied zwischen der ersten (heute) und dritten Reihe (mein Aboplatz) gibt, lässt sich anhand einer solchen Ausnahmeleistung wohl nur schwer sagen, ich bilde mir allerdings ein, dass dem tatsächlich so ist. Der Klang war diesmal jedenfalls, über die schon seit jeher geschätzte bestmögliche Transparenz hinaus, unfassbar präsent. Mal sehen, vielleicht versuche ich mein Abo tatsächlich in die erste Reihe umzutopfen. So oder so hat sich heute gezeigt, dass akustische Erfüllung auf E13 zweifellos möglich ist.

2. Oktober 2025

Orgel pur – Iveta Apkalna. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 4, Platz 8



Arvo Pärt – Annum per annum
Pari intervallo (Fassung für Orgel)
Johann Sebastian Bach - Passacaglia c-Moll BWV 582
Arvo Pärt – Spiegel im Spiegel

(Pause)

Johann Sebastian Bach – Toccata und Fuge d-Moll BWV 565
Arvo Pärt – Trivium
Pēteris Vasks – Viatore (Wanderer) / Hommage à Arvo Pärt (Fassung für Orgel)

Zugabe: Lūcija Garūta – Meditation

Iveta Apkalna – Orgel



Spiegel im Spiegel, lese ich im Programmheft. Welches der Stücke Pärts war das nochmal, müsste ich doch kennen, denke ich so bei mir. Ach DAS, zuckt es mit einem Schmunzler durch meinen Sinn, als ich das erste Mal die Dreier-Tonfolge vernehme. Und dem ersten Mal sollten einige, nicht wenige Male folgen. Das Programm ist dem 90. Geburtstages des Komponisten gewidmet, fraglos einer der berühmtesten lebenden Tonschöpfer im Klassikbereich. Ohne die Lebensleistung des Esten in Frage stellen zu wollen, zeigt sich heute wieder, dass ich mit seinem Oeuvre einfach wenig anfangen kann (mit einer Ausnahme: Fratres).

Weder das wohlbekannte Spiegel im Spiegel, bei welchem ich immer an eine Verwendung als sentimentale Filmmusik denken muss (und das von jemandem, der originale Filmmusik ebenso wie Klassik liebt), noch die mir unbekannten Stücke waren heute in der Lage, mein Bild von seinen Kompositionen zu relativieren, das ich mit „einlullende Unterforderung“ zusammenfassen möchte. Wie gesagt, ohne mich wirklich vollumfänglich in Pärts Werkkatalog auszukennen.

Der Effekt bei „annum per annum“, der Orgel buchstäblich per Knopfdruck den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist nicht uninteressant – das in sich Zusammensacken der Klangkulisse hat eine unwirkliche, ja beinahe elektronische Qualität. Aber mehr als diesen Aha-Moment erlebe ich mit den ersten beiden Pärt-Stücken nicht.

Der Kontrast zu der von mir heiß geliebten Bach-Passacaglia könnte akustisch wie emotional kaum größer sein. Das in stetiger Variation majestätisch dahinmäandernde Werk zieht mich live immer wieder ebenso in seinen Bann wie in der Abgeschiedenheit des heimischen Musikrefugiums. Frau Apkalnas Interpretation weicht hier und da von dem mir achso Vertrauten ab, arbeitet andere Nuancen zu Tage, verfehlt ihre soghafte Wirkung aber keinesfalls.

Mir persönlich liegt die Passacaglia viel näher als der nach der Pause gespielte Superstar unter den Orgelwerken – nimmt man seine Bekanntheit und den Einsatz in allen möglichen und unmöglichen (pop-)kulturellen Zusammenhängen als Maßstab für solch eine törichte Kiesung. Klar, der Auftakt ist ein unkaputtbares Ausrufezeichen, der weitere Verlauf ein überaus abwechslungsreicher, energetischer Ritt. Dennoch ziehe ich die Gravitas und dichte Konsequenz der Passacaglia vor – wenn man überhaupt vor die Wahl gestellt werden möchte/sollte. Auf jeden Fall entfachte DIE Toccata und Fuge die meiste Begeisterung beim Publikum. Warum auch nicht – schön, das Stück wieder einmal mustergültig dargeboten bekommen zu haben.

Die anschließenden Werke von Pärt und Vasks konnten den Spannungsbogen dann nicht mehr halten. An das Pärt Stück habe ich bereits keine Erinnerung mehr, Vasks Wanderer hatte Potenzial, hätte für meinen Geschmack aber ruhig die ein oder andere Abkürzung nehmen sollen – es zog sich. Die Zugabe aus der Feder einer Landsfrau Apkalnas brachte noch einmal für ein paar Minuten in harmonisch reichem, spät-spätromantisch anmutenden Gewand frischen Wind in den Saal.

Abschließend noch ein Gedanke zu „Spiegel im Spiegel“: Vielleicht ist das Stück nicht unbedingt ideal für die Darbietung auf der Orgel? Die ursprüngliche Kombination von Klavier und Violine bietet in dem repetitiven, schlichten Gerüst ein ungleich intimeres Zusammenspiel, als es eine riesenhafte Orgel mit noch so viel Registerzauber vermag. Den Ausspruch Pärts aus dem Programmheft, „Ich habe entdeckt, dass es genügt, wenn ein einziger Ton schön gespielt wird“, möchte ich durchaus unterschreiben, wobei aus der Idee bei diesem Komponisten für mich leider nur in seltenen Fällen eine Umsetzung erwächst, die mich interessiert, geschweige denn berührt. Schade.

22. September 2025

Orchestra of the Royal Opera House – Jakub Hrůša. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Béla Bartók – Suite aus »Der wunderbare Mandarin« op. 19 Sz 73

(Pause)

Antonín Dvořák – Die Geisterbraut / Kantate für Soli, Chor 
und Orchester op. 69
In tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Orchestra of the Royal Opera House
Royal Opera Chorus
William Spaulding – Chorleitung
Kateřina Kněžíková – Sopran
Nicky Spence – Tenor
Pavol Kubáň – Bariton
Dirigent – Jakub Hrůša



Einführung sehr informativ. Handlung/Struktur zum Mandarin anhand von Klangbeispielen für mich verständlich gemacht (Solo-Klarinette als Lockmusik der Dame/Tänze als Einführung der Herren/Blechglissando als Entree des Mandarin). Hörspielcharakter der Geisterbraut sehr griffiges Bild für die Kantate. Gemeinsamkeiten über die offensichtlichen Unterschiede der beiden Stücke hinweg hervorgehoben – in beiden wird eine Geschichte musikalisch erzählt, es geht es (auch) um Sehnsucht und Tod.

Bartok: ich mag das Stück sehr, steh halt auf Fratzengeballer. Interpretation völlig in Ordnung, Orchester insg. etwas zu brav/weich. Streicher schön, aber sehr mild, gehen schon anfangs etwas unter und geraten im rythmischen Finale dann vollends unter die Räder von Percussion und Bläsern.

Dvorak: Anfangs leichte Holländer Vibes. Dachte das Stück ist mir insg. zu brav (stimmt in gewisser Weise auch. vgl. z.B. eben den Holländer oder Berlioz’ Hexensabbat), aber es besitzt sehr wohl seinen Reiz. Abwechslungsreiche, eingängige Komposition. Arien schön, nach dem ersten Höreindruck aber nicht kolossal innovativ/herausstechend. Interessanteste Phase zweiter Auftritt Chor und Erzähler auf der „Reise“ (schaurige Atmo, Irrlichter, Frösche …). Klassische Strukturen (drei Teile der Reise/drei Gegenstände/dreimal wird der Tote vom Bräutigam erweckt …), Schlussarie der Braut durchaus berührend, innig, danach Anbruch des Tages mit Schmackes im Chor, Finale eher wohlig-mild als überwältigend. Passt aber von der Stimmung her. 

Insgesamt eher der subtile Grusel als Krassheiten und Schockmomente, harmonisch auch gemäßigt. Hat sich auf jeden Fall gelohnt, das mal gehört zu haben. Solisten gut, Tenor und Bariton hätten z.T. etwas mehr Durchschlagskraft vertragen können. Tenor aber schön wandlungsfähig von ambivalent/unnahbar bis offen verdorben. Viele Omas mit Frühstart oder Saalflucht beim Applaus. Für die Darbietung hätte der Jubel etwas größer ausfallen können. Übertitel waren sehr hilfreich, die Konzentration hielt komplett die 80 unbekannten Minuten durch. Warum nicht immer so?

29. Juni 2025

Symphoniker Hamburg – Sylvain Cambreling.
Laeiszhalle Hamburg.

19:00 Uhr, Parkett Rechts, Reihe 6, Platz 15


Olivier Messiaen – Des canyons aux étoiles ... 
für Klavier, Horn, Xylorimba, Glockenspiel und Orchester

Nach dem Konzert: Martha Argerich, Adrian Iliescu, 
Clara-Jumi Kang, Timothy Ridout, Jing Zhao: 
Robert Schumann – Klavierquintett Es-Dur op. 44


Symphoniker Hamburg
Lucie Krysatis – Horn
Matthias Kessler – Glockenspiel
Alexander Radziewski – Xylorimba
Joonas Ahonen – Klavier
Dirigent – Sylvain Cambreling



Es ist wirklich nicht zu unterschätzen, wie sehr der Kenntnisstand über ein Werk dessen Aufnahme beim Liveerlebnis beeinflusst. Klingt nach Binsenweisheit, wurde mir heute aber bei Messiaens auf den ersten Blick alles andere als eingängigem Lobpreis der Natur nur allzu deutlich bewusst, das ich von den Symphonikern Hamburg unter ihrem Chefdirigenten erstmalig im Konzertsaal präsentiert bekam. Spätestens nachdem ich vor etwa einem Jahr der unvergesslichen Aufführung seiner Oper „Saint François d’Assise“ in der Elphi (Link) beiwohnen durfte, ist der Drang erwachsen, sich mit dem Gesamtwerk des frommen Vogelkundlers über „Turangalîla“ und „Quatuor pour la fin du temps“ hinaus zu beschäftigen. Wo ich bei vielen seiner Orgelwerke sehr schnell einen Zugang gefunden habe, war der erste Kontakt mit seinem umfangreichsten Orchesterwerk „Des Canyons aux étoiles ...“ eher ernüchternd. Begeistert die Turangalîla-Sinfonie vom Start weg mit einem Feuerwerk aus Rhythmik, Groove und Klangzauber, erschien mir die transzendentale Wanderung durch die nordamerikanische Wildnis anfangs unzugänglich, ja spröde und karg. Doch nach wochenlanger, konsequent wiederholter Beschäftigung mit der Komposition auf YouTube grinse ich auf dem Heimweg in mich hinein, weil Ohrwürmer vom Konzert nachhallen.

Ganz gleich ob mehrstündige Oper, große Sinfonie oder Liederzyklus, ob Barock, Spätromantik oder Moderne, in der Musik ist es wie mit eigentlich allen Leidenschaften – je mehr man „investiert“, desto mehr bekommt man auch zurück. In diesem Falle eben eine Komposition, die ich nach flüchtiger Betrachtung wohl als sperrig hinten angestellt hätte, durch die Saisonplanung der Symphoniker Hamburg nun nicht mehr missen möchte. Es ist faszinierend, wie sich das Ohr an komplexe Strukturen und ein Material jenseits eingängiger Melodien gewöhnen kann, wenn man ihm Zeit lässt. Und das nicht mit dem Ergebnis einer nüchternen Betrachtung oder Analyse, sondern direkter emotionaler Ansprache. „Des Canyons aux étoiles ...“ ist ein Werk voller Klangschönheiten bis hin zu unmittelbaren Naturillustrationen (Windmaschine, Donnerblech), seine in vielerlei Gestalt wiederkehrenden Themen erzeugen Staunen und berühren. Der immer wieder choralartig eingesetzte Bläsersatz hat es mir genauso angetan wie beispielsweise die lange Solohornpassage, eine ausdrucksstarke Klage mit wirklich allen Mitteln, die dem Instrument gegeben sind. Der Einsatz des Soloklaviers, vor allem in der Verarbeitung des thematischen Materials und (Neu-)Kombination, unter anderem mit den bei Messiaen fast schon obligatorischen Vogelstimmen, ist eine einzigartige Reise für sich, die den Fluss des großen Ganzen durchwebt.

Ich bin Sylvain Cambreling und seinem Orchester sehr dankbar, diesen aus Messiaens tiefem Glauben gespeisten Hymnus an die Schöpfung in solch vollendeter Weise zum ersten Mal live erlebt haben zu dürfen. Dass diese Aufnahme keinesfalls eine Selbstverständlichkeit ist, konnte man an den nicht wenigen schmerzlich beobachten, welche die „Gelegenheit“ zwischen den Sätzen nutzen, die Flucht zu ergreifen – womit wir wieder beim Anfang wären: von nichts kommt nichts, im Leben wie in der Musik. Ich jedenfalls war nach dieser Live-Premiere derart beseelt, dass ich auf das anschließende Schumann- Quintett mit Frau Argerich verzichtet habe. Wahrscheinlich als „Belohnung“ für all jene gedacht, die den Messiaen „durchgehalten“ haben, hat diese Zugabe für mich in der Stimmung einfach nicht gepasst. Trotzdem eine tolle Idee der Symphoniker, auch auf diese Art (Klang-)Welten zu verbinden.

26. Juni 2025

Orchestre Métropolitain de Montréal – Yannick Nézet-Séguin. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 3, Platz 13



Maurice Ravel – La valse / Poème chorégraphique für Orchester
Barbara Assiginaak – Eko-Bmijwang (Aussi longtemps que la rivière coule)
Camille Saint-Saëns – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 22

Zugabe:
Isoldes Liebestod »Mild und leise wie er lächelt« /
aus der Oper »Tristan und Isolde« WWV 90
(Bearbeitung für Klavier von Zoltan Kocsis)

(Pause)

Piotr I. Tschaikowsky – Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 »Pathétique«


Orchestre Métropolitain de Montréal
Alexandre Kantorow – Klavier
Dirigent – Yannick Nézet-Séguin



Vor der Zugabe dachte ich noch: Kannste ja mal zur Abwechslung den Text zur ersten Halbzeit flink in der Pause tippen – Spitzenkonzert, dies und jenes Detail hervorheben, Kantorow für seine Technik in den Himmel loben, fertig. Und dann haut der gute Mann als Zugabe (wieder! (Link)) den Liebestod raus, so dass ich jetzt erst mal meine Murmeln sortieren muss.

Also hübsch der Reihe nach: La Valse ist vielleicht mein Lieblingsstück von Ravel und ich freue mich jedesmal wie ein kleines Kind, wenn diese elegante Monstrosität auf dem Programm steht. Nézet-Séguin erarbeitet mit seinen Landsleuten eine absolut schlüssige, fließend-transparente, kontrastreiche Interpretation mit Verve und Wumms, ohne es dabei vollends in Sachen Schärfe ausarten zu lassen. Ich kann damit wunderbar leben, auch wenn ich das Stück gern mal ein paar Schritte dichter zum Rande der Auflösung präsentiert bekomme. Es stellte sich heute wieder – wie schon bei meinen letzten Konzerten auf diesem Platz – ein bisschen die Frage, ob die Position immer noch mein bevorzugter Fleck in der Elphi ist, oder ob ich selbst bei solch groß besetzten Werken lieber näher am Geschehen wäre. Das Pendel schlägt wohl wie beim Mahler unter Mäkelä (Link) und van Zweden (Link) Richtung Letzteres aus. Aber wie bereits oft konstatiert, ein sehr transparenter, ausgewogener Klang dort, gerade bei leisen Stellen.

Das zweite Stück des Abends von Frau Assiginaak ruft leichte Appalachian Spring Vibes hervor. Indigenes Colorit, zum Teil ungewöhnliche Klangeffekte (mit Papier rascheln), generell viel Perkussion, insgesamt ein eher tonal gehaltenes, sehr zugängliches Werk.

Das zweite Klavierkonzert von Saint-Saëns ist mir recht gut bekannt, vollends warm werde ich wohl nie damit: Den ersten und dritten Satz empfinde ich als wunderbar, aber das kumpelig-schunkelige Thema des zweiten geht leider gar nicht. Das hat eine "Qualität", die Eumel zum Mitsummen einlädt … da bin ich komplett raus. Kantorow wie beim letzten Mal phänomenal, an manchen Stellen scheint es, als widersprächen seine Handbewegungen den Gesetzen der Physik – quasi ein glitch in der Matrix – eine im wahrsten Sinne für Ohr und vor allem Auge unfassbare Geschwindigkeit. Und dann halt die Zugabe. Der vielleicht beste Liebestod am Klavier, obwohl er die finale Steigerung superschnell nimmt, was eigentlich so gar nicht meinem Geschmack entspricht. Schwere Gedanken umwölken meine Sinne. Wir werden alle sterben, haben liebe Menschen verloren und werden weitere verlieren, aber auch das ist das Leben. Und es ist es wert.

Zum Abschluss Tschaikowsky – vielleicht die beste Sechste ever. Hatte nicht so richtig Bock drauf, Nézet-Séguin belehrt mich eines Besseren. Richtig Oooomph, lehnt/hängt sich wortwörtlich und im übertragenen Sinne rein. Artikulation sehr pointiert, dabei nie hart, immer organisch, trotzdem starke Kontraste in Dynamik (erster Satz ersterbende Holzbläser und dann Schlag auf die Omme), ppp zum Lufanhalten, oder Tempo (Mordsantritt dritter Satz,) treibt die Streicher zum Expressivsten, aber nicht kitschig, ehrlich tiefe Emotionen, Sehnsucht, Verzweiflung. Wenn das Hauptthema des Kopfsatzes erklingt, zerfließt man wie Butter. Dritter Satz Hammer!mässig. Mehr Trotz geht nicht. Den Finalsatz hatte ich nicht so stark in Erinnerung. Nicht nur Wehmut, sondern auch Kampf und Dampf. Choralstelle mit Posaunen und Tuba unanfechtbar. Solohorn topp! Zweiter Satz strotzt vor Eleganz, aber von der Komposition her nicht so meins. Standing ovations. Im nicht enden wollenden Jubel besucht Nézet-Séguin noch mal alle Stimmführer einzeln und geht vor ihnen auf die Knie. Klingt theatralisch, kam aber spürbar von Herzen: der Mann aus Montreal und seine Mitmusiker aus Montreal – eine magische Verbindung.

15. Juni 2025

NDR Elbphilharmonie Orchester – Herbert Blomstedt. Elbphilharmonie Hamburg.

10:00 Uhr Einführung, 11:00 Uhr, Etage 12, Bereich A, Reihe 3, Platz 2



Johann Sebastian Bach – Jauchzet Gott in allen Landen / 
Kantate BWV 51

(Pause)

Ludwig van Beethoven – Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 36


NDR Elbphilharmonie Orchester
Regula Mühlemann – Sopran
Dirigent – Herbert Blomstedt



Bei der Einführung mit Thomas Cornelius sprang Raliza Nikolov für Regula Mühlemann ein, die laut Nikolov mit dem Kreislauf zu kämpfen hatte – im Konzert war die Sopranistin dann aber ohrenscheinlich wieder voll auf der Höhe. Die Einführung selbst entwickelte sich als entspannter Plausch, bei dem Herbert Blomstedt im Mittelpunkt stand. Von Anekdoten aus dem gemeinsamen Arbeitsleben, die sowohl das ungebrochene Arbeitspensum und -Ethos des kommenden Monat seinen 98. Geburtstag begehenden Ex-Chefs des NDR, als auch dessen weiterhin geölten wie gewitzten Geist belegten, bis hin zu wunderbaren Tonaufnahmen von den Proben, mittels derer man dem unentwegt singenden Blomstedt bei der Erarbeitung von Details zumindest indirekt beiwohnen durfte, stellte die Einführung in erster Linie eine Liebeserklärung an den rüstigen Schweden dar.

Insbesondere Cornelius hatte die Stauner und Lacher auf seiner Seite, ob er nun Blomstedts unglaubliches Namensgedächtnis rühmte, seinen von ihm verliehenen Spitznamen (Der Ding Ding Ding Mann) enthüllte oder seine irrige Annahme, Opfer von Spam-Mail geworden zu sein. Wir erfahren: Der Maestro schreibt immer noch selbst und hält sich nicht lang mit Kleinigkeiten wie Geburtstagen auf – zum 120. könne man ja immer noch gemeinsam feiern. Ein Ausspruch Blomstedts bei den Proben zum Bach bleibt besonders im Gedächtnis: das stetige Ausdünnen der Orchesterstimmen in einer bestimmten Passage kommentiert er mit „es werden immer weniger … wie im richtigen Leben“. Wobei es ihm damit laut Cornelius beileibe nicht um Resignation oder Pessimismus ging – das Leben und die Musik gehen immer weiter.

Blomstedts Sicht auf Beethovens Zweite ist ein weiterer Beleg für seinen Ansatz, den Blick stets frisch zu halten. Anstatt die Sinfonie wie üblich als Vorläufer/Vorbereiter der Dritten zu sehen, überwiegt in ihr laut Blomstedt vielmehr ihr Status als eigenständige Innovation (Zitat sinngemäß: ist die Erste noch ein breiter Haydn, so kommt die Zweite mit ganz neuer Atmosphäre daher). So sinniert er darüber, wie wohl seinerzeit die Zuhörer (und Musiker) dieses Werk aufgenommen haben und möchte auch für uns Beethoven-Vertraute den Blick auf diese Neuerungen lenken.

Das Konzert selbst feiert dann drei große Bs – Bach, Beethoven, und eben Blomstedt selbst (wobei er selbst dies sicher als Unsinn abgetan hätte). Ich habe ihn zuletzt vor mehr als 5 Jahren in der Elphi erleben dürfen (Link), seinerzeit schritt er noch ohne Hilfe auf die Bühne und absolvierte den Bruckner stehend (was mein um diverse Jahrzehnte jüngerer Rücken sicher nicht ohne Murren goutiert hätte), heute wird der verdiente Orchesterleiter von einem Mitglied des NDR zum Pult geführt, wo er für die kommenden Aufgaben Platz nimmt. Und wie er diese Aufgaben wahrnimmt! Der Bach ist von der Struktur her wie in der Einführung dargelegt – von viel zu wenig zu viel. Frau Mühlemanns Sopran wunderbar, sowohl bei den Koloraruren als auch in Sachen Zartheit (zweiter Satz). Und Blomstedt geht voll mit. Die Akustik so weit vorn ist ok, der Fokus liegt dadurch allerdings, gerade bei der größeren Besetzung im Beethoven, klar auf den Streichern. Die Bläser kommen immer noch klar durch, aber auch deutlich verortbar von hinten. Nach der Pause folgt ein knackiger, tiefgründiger Beethoven. Der Kopfsatz mit Schwung, der zweite innig und kontemplativ, der dritte mit ordentlich Pepp, das Finale in agilem Tempo und mit schönen Kontrasten.

Standing ovations für Blomstedt. Der obligatorische Weg von der Bühne und zurück wird untergehakt abgekürzt, in Sachen Emotion und Inspiration ist der – er möge mir die Doppeldeutigkeit nachsehen – Altmeister für uns heute jedoch die Extrameile gegangen.

4. Juni 2025

London Symphony Orchestra – Pappano.
Elbphilharmonie Hamburg

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Hector Berlioz – Ouverture du Corsaire op. 21
Pierre Boulez – Mémoriale / ... explosante-fixe ... originel
Pierre Boulez – Livre pour cordes

(Pause)

Hector Berlioz – Symphonie fantastique /
Épisode de la vie d’un artiste op. 14

Zugabe: Gabriel Fauré – Pavane op. 50


Ich würde mich ja gern mal mit jemandem unterhalten, der sagt: „Also Boulez ist mein absoluter Lieblingskomponist!“ Mir erschließt sich durchaus ein gewisser Reiz dieser Musik, aber der bewusste Verzicht auf Melodik und vor allem auf ein Harmoniegefüge, in dem greifbare Tonalität eine Rolle spielt, machen es mir schwer, die nötige Konzentration aufzubringen und unmöglich, von dieser Musik berührt zu werden. Aber vielleicht ist das eben gar nicht der Sinn der Übung, daher mein Interesse daran, was wohl ein ausgemachter Boulez-Fan aus seinen Werken ziehen mag. Faszination an der Komplexität? An den Feinheiten der Klangkombinationen?

Ich persönlich konnte dem differenzierten Klanggewebe insgesamt, der mannigfaltigen Behandlung der tonangebenden Querflöte oder einzelnen akustischen Wirkungen, wie den seltsam unwirklichen Einsätzen des Horns, definitiv etwas abgewinnen – aber warum sollte man sich als Komponist derart selbst beschneiden? Wo das erste Werk mit seiner kleinen, aber vielseitigen Besetzung noch zumindest jene interessanten Klangwirkungen bietet, verliert mich das zweite Stück für Streichorchester vollends, zumal mir der Einsatz der Streicher hier alles andere als innovativ vorkommt. Aber auch da könnte mich der Boulez-Experte sicher eines Besseren belehren. Die intellektuelle Herausforderung hat sicher einen großen Anteil daran, warum ich mich gern und intensiv mit Musik auseinandersetze, ohne die emotionale Komponente bleibt eine Beschäftigung jedoch für mich mehr oder weniger reiz- und fruchtlos.

Dann doch lieber Reize in Hülle und Fülle sowie körbeweise Früchte in allen Geschmacksrichtungen aus der kompositorischen Lese des geliebten Hector Berlioz! Was habe ich mich darauf gefreut, die Sinfonie endlich wieder einmal live zu erleben. Und gleich eingangs mit der Korsaren-Ouvertüre lässt Pappano keinen Zweifel daran, dass das Werk des französischen Powerplayers hier und heute bei ihm und dem Londoner Ausnahmeorchester in den besten Händen liegt. Explosiv, spritzig, federnd, mit dem gebührenden Schmelz in den entsprechenden Passagen – raue See und Wildromantik, wie sie für einen Freund der Kontraste auf allen Ebenen wie mich nicht elektrisierender hätte ausfallen können. 

Und nach der Pause greifen Dirigent und Klangkörper diesen Elan mit der Episode aus dem rauschhaft-berauschenden Künstlerleben nahtlos auf und liefern eine Symphonie fantastique ab, die mich nach dem Furor des Hexensabbats mit einem teuflisch zufriedenen Grinsen in den allgemeinen Begeisterungssturm einstimmen lässt. Das London Symphony Orchestra trägt mit seiner Mischung aus technischer Perfektion und klanglicher Finesse einen großen Anteil daran, obgleich Pappanos Konzept vom ersten bis zum letzten Takt heute einfach unfehlbar scheint. 

Ob das Stürmen, Drängen und Sehnen des ersten, der Taumel und die Eleganz des zweiten, die Mahler und Co. vorwegnehmende Innigkeit und Tiefe der Außenwelt/Innenwelt-Illustration des dritten, das Unaufhaltsame des vierten oder das Archaische, scheinbar Chaotische und doch gleichzeitig so unfassbar kinnladensprengend Virtuose des fünften Satzes – es hat an diesem Abend einfach alles gepasst. Ich vergöttere dieses Stück und bin sehr froh, es heute so erlebt haben zu dürfen, wie ich es mir in den schönsten (Fieber-)Träumen erhofft hatte. Und das ganz ohne Opium, wohlgemerkt.

17. Mai 2025

Chicago Symphony Orchestra – Jaap van Zweden.
Elbphilharmonie Hamburg.

Einführung 18:45 Uhr (Marcel Klinke),
20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 3, Platz 13



Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 6 a-Moll


Eine der packendsten Mahler-Interpretationen seit langem. Vor mehr als zehn Jahren hatte mich Herr van Zweden im Concertgebouw Amsterdam, nicht mit dem danach benannten Orchester, sondern den Radio-Philharmonikern, schon einmal restlos begeistert (Link). Heute fügte er mit Mahlers 6. eine ähnlich intensive Darbietung hinzu. Schrieb ich damals von einem "Energietransfer sondergleichen", so trifft das auf das heutige Gastspiel in der Elphi in kaum steigerungsfähiger Weise zu. Ich kann mich nicht erinnern, diese symphonische Dampfwalze mit ähnlicher oder gar mehr Wucht über mich hinweggefegt erlebt zu haben. Aber es ist nicht allein die Vehemenz, sondern gleichermaßen Klarheit und Finesse, die mich zu dem persönlichen Fazit hinreißen lassen: besser geht es für mich kaum. Daran hat selbstverständlich das Chicago Symphony Orchestra mit seiner Kombination aus technischer Perfektion und spektakulärem Klang (und nicht nur das Blech) seinen Anteil. 

Einziger minimaler Wermutstropfen war, dass sich für mich heute die Frage beantwortet hat, ob mein Lieblingsplatz weiterhin mein Lieblingsplatz ist, und die Antwort ist leider jein. Sicher sind sowohl die objektive Klangpracht als auch Durchhörbarkeit gerade in einem solch stark besetzten Werk hier wohl unerreicht, doch hat sich mein persönlicher Live-Geschmack offenbar doch etwas mehr in Richtung akustischer Überwältigung entwickelt. Das war im groben und ganzen immer schon so – mit gesitteter Berieselung konnte ich noch nie etwas anfangen (und die ist auf diesem Platz auch nie der Fall), aber ich hätte heute tatsächlich gern etwas weiter vorn im hinteren Parkett gesessen, um Hammerschläge und Furor mit noch mehr Schmackes um die Ohren gepfeffert zu bekommen. 

Ob es an veränderten Hörgewohnheiten oder schlichtweg Abstumpfung liegt, kann ich nicht sagen. Es scheint sich nur ein Muster abzuzeichnen, dass mich ja beispielweise bei Mäkeläs Mahler (Link) auf demselben Platz regelrecht ratlos zurückließ – ich glaube, ich habe dem Mann bzw. seiner Interpretation seinerzeit Unrecht getan. Es ist, wie es ist und ich werde mal in mich gehen müssen, um zu entscheiden, ob ich dieses Abo hier oder auf einem anderen Platz die nächsten Jahre fortführen möchte. Luxusprobleme im Akustikparadies. 

22. April 2025

Orgel pur – Olivier Latry. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 4, Platz 8



Louis Vierne – Sinfonie für Orgel Nr. 3 fis-Moll op. 28

(Pause)

Pierre Cochereau – Boléro sur un thème de Charles Racquet 
für Orgel und Schlagzeug

Jean-Pierre Leguay – Letzter Satz / aus: Sonate für Orgel Nr. 1

sowie Improvisationen von Olivier Latry

Zugaben:

Alexandre Guilmant – Finale (Allegro assai) / 
aus: Sinfonie Nr. 1 d-Moll op. 42

Johann Sebastian Bach / Marcel Dupré – Sinfonia aus der Kantate 
»Wir danken dir Gott, wir danken dir« BWV 29


Olivier Latry – Orgel
Thomas Schwarz – Schlagzeug
Moisés Santos Bueno – Schlagzeug



Früher hätte mich die Pappnase, die ihr Handy nicht aus bekam, (oder bekommen wollte?) genötigt, wieder mal eine Abhandlung über die Verkommenheit der Welt im Allgemeinen und den Sittenverfall im Konzertleben im Besonderen zu verspeien. Heute reicht es zumindest noch für einen galligen Einstieg. Nützt ja nix. Die Welt ist voller Pappnasen und die Wahrscheinlichkeit, dass sich davon eine (genau genommen waren es heute derer zwei, wobei das erste Näslein recht schnell die richtige Taste fand) in die Elbphilharmonie verirrt, alles andere als gering. Ich möchte mich aber lieber auf jene Zeitgenossen fokussieren, die auch heute noch wie eh und je ein Herz für die Musik und Respekt für jene besitzen, die sie wieder und wieder zum Leben erwecken. Nichts weniger hat auch Herr Latry verdient, ein absoluter Meister seines Fachs, der mir spätestens mit seinen Einspielungen der Werke Messiaens ein Begriff geworden ist.

Von Louis Vierne findet sich das ein oder andere in meinem CD-Regal, die Sinfonie war mir aber bislang unbekannt. Ich kann nicht sagen, dass der Stil Viernes hier sofort Begeisterungsstürme bei mir hervorgerufen hat. Namentlich die Themen und Melodik haben mich (fürs erste zumindest) weniger abgeholt. Ungeachtet dessen sind einige Höhepunkte für mich hängengeblieben: Der Schlussabschnitt des zweiten Satzes – zart, zerbrechlich, irgendwie aus aus einer ganz anderen Sphäre. Ebenso der gesamte letzte Teil des anderen langsamen Satzes, des vierten – eine innige Melodie, berührend. Der dritte Satz insgesamt mit seinem verwunschen/verschrobenen Duktus nicht uninteressant. Nach dem ersten Hören haben mir die drei Mittelstücke jedenfalls besser gefallen als der Bombast in den ausladenden Ecksätzen.

Cochereau: Bolero mal anders. Crescendo und Decrescendo, eher Lohengrin-Vorspiel oder Messiaens „Apparition de l’église éternelle“ mit ihren Bogenformen als Ravels Tanzmaschine Richtung Kollaps. Die Kombination von Orgel und Schlagzeugern funktioniert in der Elphi-Akustik makellos, ob Zusammenspiel mit der Militärtrommel, Beckenschläge auf dem dynamischen Höhepunkt, oder Triangelglanz. Dazu bin ich hier in puncto musikalisches Material voll an Bord. Attestiert der Programmhefttext dem Werk vor allem einen mysteriösen, bedrohlichen Charakter, so ist die emotionale Gemengelage doch weitaus ambivalenter – Erhabenheit, Stolz und Triumph haben gleichsam ihren Platz in diesem mitreißenden opus. Oder um ein Urteil im YouTube-Jargon zu fällen: playlist! Keine Frage.

Mit dem Leguay kommt danach schwere Kost aufs Tableau, wenig melodisch, aber in Bezug auf Klangmixturen dafür sehr ergiebig. Außerdem kann Herr Latry mit diesem Stück seines Notre-Dame-Kollegen auf ganz andere Art virtuos glänzen. Nicht unbedingt berührend, aber Staunen machend.

Zu guter Letzt rundet noch die Facette des Improvisateurs Latry das offizielle Programm ab: Herr Cornelius betritt mit einem Notenblatt die Bühne und reicht es dem Solisten, der wiederum, nachdem er das Material einmal Zeile für Zeile vorgetragen hat, eine etwa viertelstündige Improvisation daraus kreiert. Leider war ich heute nicht in der Einführung, daher kann ich nur mutmaßen, wie die Auswahl der Fragmente vonstatten gegangen ist, mit der Latry offenbar spontan umzugehen hat. Außer dem „Freude schöner Götterfunken“-Thema habe ich dummerweise nichts bei der kurzen Präsentation erkannt, was die mögliche akustische Schnitzeljagd für mich etwas einschränkte, den Effekt aber nicht im Geringsten schmälerte – die vollkommene Faszination, einem ernsthaften, vielseitigen, komplexen, mal innigem, mal überbordend virtuosem, zum Ende hin triumphalen Gebilde bei seiner Entstehung (und gleichzeitigem Vergehen) live beiwohnen zu dürfen.

Die Besucher zeigen sich erfreulicherweise gleichsam begeistert darüber und ringen Latry noch zwei Zugaben ab: zuerst mit dem opulenten Finale aus Guilmants 1. Sinfonie einen vermeintlichen Rausschmeißer, bevor dann mit der Kunst Bachs (natürlich in der Bearbeitung eines Franzosen) die Pariser Außenstelle für heute ihre Pforten schließt.

2. April 2025

Royal Concertgebouw Orchestra. Klaus Mäkelä.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 3, Platz 13



Arnold Schönberg – Verklärte Nacht op. 4
(Fassung für Streichorchester)


(Pause)

Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 1 D-Dur


Royal Concertgebouw Orchestra
Dirigent – Klaus Mäkelä


Das Zwischenfazit bis zur Pause: Klaus Mäkelä verteilt gern große Schellen und ich halte liebend gern beide Wagen hin. Nach dem aufpeitschenden Sacre (Link) mit Paris nun zuerst mal eine Verklärte Nacht, die zum Anschauungsunterricht für im besten Sinne effekt- weil ebenso wirkungsvoll gesetzte Akzente diente. Eine bis ins Detail ausgefeilte Artikulation, Kontraste im Ausdruck, lassen – viel mehr als schroffe Tempowechsel – den Gedankenfaden, die soghafte Überführung von einem Spannungsbogen in den nächsten aufs Vollkommenste gelingen.

Dabei kommt das Werk in dieser Lesart verblüffend zugänglich daher, da sie eher das gesanglich Spätromantische als das Dissonante betont, ohne dabei die sich darin zweifellos türmenden, stauenden, schließlich lösenden Reibungen glattzubügeln. Das Beste aus zwei Welten, könnte man sagen. Der dumme Spruch von der verwischten Tristanpartitur als Errungenschaft entlarvt – Wagner 2.0 ohne Abziehbildcharakter in einer Konsequenz, wie ich sie bei sonst bei kaum einem Stück kenne. Schade, dass Kollege Schönberg dann einen anderen Weg eingeschlagen hat. Sicher, musste wahrscheinlich alles so sein, damit ich nicht um meinen Hindemith oder Britten gebracht wurde.

Die Streicher aus Amsterdam klingen wie erhofft/gewohnt makellos seidig, etwa bei dem flirrenden, etwas an das Siegfried-Idyll erinnernden Intro zur darauf folgenden Passage im letzten Drittel ohne Schwere und Zweifel, oder auch bei dem ein oder anderen Zauberpianissimo gegen Ende. Zupackend geht aber selbstredend ebenfalls. Oder um den Bogen zum vorweg genommenen Zwischenfazit zu schlagen: bei Mäkelä folgen auf starke Gesten starke musikalische Momente. Leider bewegten sich Teile des Publikums nicht auf diesem Niveau – viele dumme Huster an sensiblen Stellen. Diesem Umstand war auch nach der Pause keine Besserung beschieden, im Gegenteil.

Ich Frage mich, wie groß der Anteil dieser Störfaktoren daran war, dass aus einem zur Pause schon sicher geglaubten Gesamt- nur ein Zwischenfazit wurde. Ich habe die Erste jetzt eine ganze Weile live nicht mehr gehört, aber sie ist mir wie all ihre Schwestern lieb und teuer, war sie doch (neben der Fünften) mein Einstieg in den Mahlerkosmos – Kubelik sei Dank. Diverse Gesamteinspielungen und Einzelaufnahmen sowie natürlich Liveerlebnisse später, hat sich mehr oder weniger herausgestellt, wie „mein“ Mahler sein muss, damit sich die himmlischen Freuden manifestieren. Wohlgemerkt führen dabei für mich durchaus mehrere Wege nach Wien (oder Iglau), von Soltis Starkstrom bis Maazels Wonnenmäander, oder, um beim Livevergleich zu bleiben, die Angebote von so verschiedenen Dirigenten wie Gergiev (Link), Honeck (Link) oder Salonen (Link) – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Umso schwieriger fällt es mir dennoch herauszuarbeiten, warum es Herrn Mäkelä heute nur in Maßen gelungen ist, mein Mahler-Herz zum Glühen zu bringen, obwohl eigentlich alle Vorzeichen (Schostakowitsch (Link), Strawinsky und jetzt der Schönberg) dafür sprachen. Und nein, eine überhöhte Erwartungshaltung möchte ich diesmal definitiv ausschließen – dafür sind die Passagen dieser Sinfonie, die mich mit dem richtigen Ansatz jedes Mal „kriegen“, einfach zu wirksam. Ich hatte den Eindruck, dass eben jene Züge, die mich ansonsten bei Mäkelä verzückt hatten, in seinem Mahler nur bedingt zünden. Auch hier nehme ich eine ungemein ausgeklügelte Konzeption in der Ausgestaltung der Artikulation wahr: was wird wann wie betont, geschärft oder gemildert. Und das alles ergibt auch vollkommen Sinn – nur eben keine Gänsehaut bei mir, geschweige denn mehr.

Es fühlt sich ein bisschen so an, als hätte Mäkelä alles eine Spur zu sehr unter Kontrolle, dabei befeuert er seine Orchesterkollegen stetig mit neuen Impulsen. In meinen Ohren stet Mahler ein „Ohne Rücksicht auf Verluste“ gut zu Gesicht, sich immer wieder (fast) zu verlieren, um sich neu sammeln zu können, ein Ringen, Quälen, Schnaufen und Fiebern, aus dem einen Oasen der Wehmut, Sehnsucht oder Kontemplation kalt und heiß erwischen. Geschichten ohne Worte, allgemeingültige Seelenaggregatszustände, eben eine ganze Welt in Tönen, wie sie Mahler besingen wollte. Heute habe ich leider in jedem der vier Sätze mehr Musik als Welt vernommen. Das ist nicht schlecht, handelt es sich bei Mahlers Stimme doch um eine, die für mich durch kaum eine andere übertroffen wird. Umso schmerzlicher wiegt da das, was hätte sein können.

Was hätte mir mehr zugesagt? Mehr Rubato? Tempokontraste? Eine Prise Chaos? Unsauberkeit? – der Effekt der in den „Trauermarsch“ reingrätschenden Kapelle im 3. Satz geriet für meine Begriffe einfach zu brav, zu kontrolliert, um nur ein kleines Beispiel zu nennen. Und inmitten aller Wucht und niederschmetternder Vehemenz des Finalsatzes muss das zarte, liebliche Thema diese Schwere und Verzweiflung durchbrechen wie ein Gedanke aus kaum erreichbar geglaubter Sphäre an die liebste Person, die man auf Erden kennt. Klingt zu kitschig, nach zu viel Pathos? Vielleicht ist es auch das – mein Sehnen nach Pathos (und Verausgabung).

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Mäkeläs Interpretation ist nie langweilig, in jedem Takt stimmig und definitiv „objektiv“ gesehen auch mitreißend. Spätestens im Finale, wenn er das Gewölbe des Schlusschorals in all seiner gleißenden Pracht und unmissverständlichen Wucht vor unser aller Ohren auftürmt, mit einem Schlussantritt, der seinesgleichen sucht, hat er auch den letzten im Saal von der triumphalen Schönheit dieser Musik überzeugt. So hält es unmittelbar an den Nachhall der Weltumarmungsexplosion kaum jemand auf den Sitzen, einen solch heftigen Standing-Ovation-Drang habe ich in der Elphi selten erlebt. Am Ende also doch wohl mein „Problem“, denn nur mit Mäkeläs sicher für die Kernzielgruppe vorteilhaften Erscheinung eines Traumschwiegersohns ist ein solcher Reaktionsausbruch nicht zu erklären.

Zum Concertgebouw lässt sich wenig Neues sagen. Ein Orchester, wie ich es mir erträume. Wahnsinn, wie sich hier die Qualität des produzierten Klanges mit der Gnade der akustischen Transparenz des Saales paart – was gibt es da nicht alles zu entdecken und erlauschen. Auch eine Solotrompete, die für meinen Geschmack eine Spur zu spröde agierte, aber das war es dann schon an „Misstönen“. Wie gesagt, ich hätte mir hier und da sogar eher mehr Mut zur Hässlichkeit gewünscht, namentlich bei den Einwürfen der Holzbläser an der ein oder anderen exponierten Stelle. Aber es bringt herzlich wenig, auf mikrostruktureller Ebene zu forschen, warum ich heute nicht mitgenommen wurde. Die Verbindung der Amsterdamer Edeltruppe mit ihrem neuen Chef verheißt in jedem Fall Großes für die Zukunft, so fühlt es mein heute unbewegtes Herz umso stärker.

30. März 2025

Ariadne auf Naxos – Ulrich Windfuhr. Elbphilharmonie Hamburg.

11:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 2, Platz 12



„Zum Glück wird heute nicht Salome oder die Frau ohne Schatten gegeben …“, meinte ich noch scherzend vor Beginn der Aufführung, im Wissen darüber, was Strauss mit diesen Werken für gewöhnlich an emotionalen Ausnahmezuständen in mir hervorzurufen weiß – nur um dann beim Schlussapplaus komplett die Kenntnis darüber verloren zu haben, wo mir Kopf und Herz standen. Ich kann da nur für mich sprechen, aber wenn man nahezu das komplette Aufeinandertreffen von Ariadne und Bacchus im Delirium verbracht hat, haben die ausführenden Künstler einiges richtig gemacht. 

Da wäre zuerst einmal Ulrich Windfuhrs referenzgültiges Dirigat – vom transparent-spielerischen Parlando des Vorspiels bis zur emotionalen Wucht der „Tristan mit Happy End“-Apotheose gelingt es ihm, die Fragestellung über den vermeintlichen Gegensatz von Leichtem und Schwerem, Heiterem und Ernstem auf der Bühne in durchweg involvierender, berührender Musik aufzulösen. Das Hochschul-Orchester präsentiert sich unter seiner Leitung als Klangkörper erster Güte. Einen ähnlich starken Eindruck machte die Kombination Windfuhr/HfMT bereits vor Jahren im kleinen Saal bei einer ebenfalls konzertanten Aufführung von Brittens „The Rape of Lucretia“ (Link).

Mein Kompliment gilt weiterhin dem gesamten Sängerensemble. Besonders hervorzuheben sind hierbei Soo In Park als Komponist und Caroline Arruda Pereira dos Santos als Zerbinetta. Letztere gab über den rein stimmlich-technischen Faktor hinaus ein schönes Beispiel davon, dass es für einen rundum gelungenen Vortrag – wie es das Wort Musiktheater ja auch nahelegt – mehr braucht als korrekt ausgeführte Tonhöhen und -werte. Frau dos Santos legte selbst in dieser rein konzertanten Aufführung eine herrliche Spielfreude an den Tag, die nicht allein in Gestik und Mimik, sondern damit verbunden nicht weniger im Ausdruck des Gesungenen Widerhall fand. Dieses Prinzip der gelebten Rolle haben die "alten Hasen" Kaune und Behle natürlich zur Vollendung verinnerlicht – vom divenhaften Gehabe der Primadonna und des Tenor-Charakters im Vorspiel bis zu derer beiden gemeinschaftlichen Auslotung des Transzendentalen im Finale der Oper.

Fazit: Gewitzt und tief bewegend muss kein Widerspruch bleiben – das Beste aus zwei Welten wurde heute vollendet verschmolzen. Ganz ohne Bühnenbild und Personenregie, dennoch Musiktheater in all den Facetten, die es so wertvoll, relevant und persönlich machen. Vielen Dank.


Ariadne auf Naxos
Oper in Einem Aufzug nebst einem Vorspiel
(
Konzertante Aufführung)
Musik – Richard Strauss
Libretto – Hugo von Hofmannsthal

Der Haushofmeister 
– Michael Becker
Ein Musiklehrer 
– Hyunwoo Mario Park
Der Komponist 
– Soo In Park
Primadonna/Ariadne 
– Michaela Kaune
Der Tenor/Bacchus 
– Daniel Behle
Der Offizier 
– Jason September
Der 
Tanzmeister – David Heimbucher
Der Perückenmacher/Lakai – Kazushi Yamada
Zerbinetta – Caroline Arruda Pereira dos Santos
Harlekin – Myeonjong Jo
Scaramuccio – Wonjun Kim
Truffaldin 
– Hyundwoo Park
Brighella 
– Yuto Todoroki
Najade 
– Virginia Ferentschik
Dryade – Julia Baier Tarasowa
Echo 
– Nicola Meyer

Symphonieorchester der Hochschule für Musik und Theater Hamburg
Gesangsklassen der HfMT und der Musikhochschule Lübeck 
Dirigent – Ulrich Windfuhr


25. Februar 2025

Orchestre de Paris – Klaus Mäkelä.
Elbphilhamonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Maurice Ravel – Le tombeau de Couperin (Fassung für Orchester)

Claude Debussy – Nocturnes /
Sinfonisches Triptychon für Orchester und Frauenchor

(Pause)

Igor Strawinsky – Le sacre du printemps /
Bilder aus dem heidnischen Russland


Orchestre de Paris
Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien
Dirigent – Klaus Mäkelä



Ravel: Ich liebe dieses kleine, feine Stück. Die ersten beiden Sätze geht Mäkelä zwar etwas anders an als gewohnt (hab seinerzeit die Abbado-Einspielung rauf und runter gehört), aber dennoch prima – luftig-duftig, federnd. So soll es sein. Highlight ist der ruhige Satz: topp in der Ausgestaltung der Spannungsbögen.

Debussy: Auch wunderbare Musik, besonders live mit dem Chor ein akustisches Erlebnis. Erst heute bemerkt: das Fagottsolo im 2. Satz schlägt die Brücke zum Beginn des Sacre – klar, das Programm wurde sicher nicht ohne Grund so zusammengestellt. Man merkt überhaupt: Das Tänzerische verbindet alle Werke des Abends.

Wobei „tänzerisch“ für die Dampframme aus der Feder Strawinskys nach der Pause heute wirklich Understatement wäre. Spannung und Präzision, ein tierischer Groove vor allem im zweiten Teil. Über Rausch und Ekstase ist im Zusammenhang mit diesem Werk schon viel geschrieben worden, in der heutigen Präsentation hatte das regelrecht etwas von einem Rave. Absolut im Tunnel. Und Mäkelä reitet mit seinem Orchester die Wellen auf der letzten Schaumkrone, ohne jemals Gefahr zu laufen, dabei Halt und Zug zu verlieren. Ein Wahnsinns-Sacre, wie ich ihn Live in dieser Intensität höchstens noch von seinem Landsmann, Esa-Pekka Salonen abgerufen erlebt haben dürfte. Pure, rohe, durch Kanalisierung ins Unaushaltbare gebündelte Energie, die ihren Weg überall hin findet – Ins Ohr, ins Herz, und nicht zuletzt in jede Faser selbst solcher Körper (wie meinen), für die unter Normalbedingungen ein wippender Fuß die größtmögliche Annäherung an das Konzept Tanz darstellt.

26. Januar 2025

Mahler Chamber Orchestra – Mitsuko Uchida.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Wolfgang Amadeus Mozart – Konzert für Klavier und Orchester
B-Dur KV 456

Leoš Janáček – Mládi (Die Jugend) für Bläserensemble

(Pause)

Wolfgang Amadeus Mozart – Konzert für Klavier und Orchester
C-Dur KV 467

Zugabe der Solistin:
Arnold Schönberg – Klavierstück Nr. 2 /
aus: Sechs kleine Klavierstücke op. 19


Mahler Chamber Orchestra
Mitsuko Uchida – Klavier und Leitung



Fazit vorweg: 1. Halbzeit überraschend erfrischend, 2. Halbzeit Snoozefest

Mozart zum Ersten: mir unbekanntes Klavierkonzert entpuppt sich als ungewohnt involvierend. Uchidas Ansatz im Orchester elegant-federnd (1. Satz), behutsam-innig (2. Satz) überzeugt entgegen meiner sonst bevorzugten ruppigen Lesart. Liegt aber wohl auch am Stück selbst, gerade der zweite Satz enthält Tiefe und Innigkeit (wie z.B. die Bläser das hoffnungsvolle Thema nach der verzweifelten Episode anstimmen, welches das Klavier dann übernimmt). Finale nicht der Oberrausschmeisser aber durchaus zwingend. Uchida mit perlendem Anschlag.

Janacek: spannendes kleines Bläserstück. Erster Satz: Jugendthema erinnert an Williams/Hook/Peter Pan? Generell tolle Kombinationen und Klangfarben.

Mozart zum Zweiten: eines der bekanntesten Konzerte lässt mich absolut kalt. Musikalisches Material langweilig, man weiß jederzeit was kommt und anstatt sich auf etwas davon zu freuen, erdulde ich unter höchster Anstrengung den Fortgang. Heute vielleicht nicht ganz die übliche Quälerei, hat aber immer noch nichts mit Genuss zu tun, weder intellektuell noch emotional berührend. Einfach frustrierend. Uchida doch nicht so toll? Zweiter Satz irgendwo zwischen unangenehm süßlich und langweilig.

Die Zugabe dann mehr als befremdlich: Hurz-Vibes, das Ganze gefühlt keine Minute lang. Später stellt sich der Übeltäter raus – Schönberg, natürlich.