4. Juni 2025

London Symphony Orchestra – Pappano.
Elbphilharmonie Hamburg

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Hector Berlioz – Ouverture du Corsaire op. 21
Pierre Boulez – Mémoriale / ... explosante-fixe ... originel
Pierre Boulez – Livre pour cordes

(Pause)

Hector Berlioz – Symphonie fantastique /
Épisode de la vie d’un artiste op. 14

Zugabe: Gabriel Fauré – Pavane op. 50


Ich würde mich ja gern mal mit jemandem unterhalten, der sagt: „Also Boulez ist mein absoluter Lieblingskomponist!“ Mir erschließt sich durchaus ein gewisser Reiz dieser Musik, aber der bewusste Verzicht auf Melodik und vor allem auf ein Harmoniegefüge, in dem greifbare Tonalität eine Rolle spielt, machen es mir schwer, die nötige Konzentration aufzubringen und unmöglich, von dieser Musik berührt zu werden. Aber vielleicht ist das eben gar nicht der Sinn der Übung, daher mein Interesse daran, was wohl ein ausgemachter Boulez-Fan aus seinen Werken ziehen mag. Faszination an der Komplexität? An den Feinheiten der Klangkombinationen?

Ich persönlich konnte dem differenzierten Klanggewebe insgesamt, der mannigfaltigen Behandlung der tonangebenden Querflöte oder einzelnen akustischen Wirkungen, wie den seltsam unwirklichen Einsätzen des Horns, definitiv etwas abgewinnen – aber warum sollte man sich als Komponist derart selbst beschneiden? Wo das erste Werk mit seiner kleinen, aber vielseitigen Besetzung noch zumindest jene interessanten Klangwirkungen bietet, verliert mich das zweite Stück für Streichorchester vollends, zumal mir der Einsatz der Streicher hier alles andere als innovativ vorkommt. Aber auch da könnte mich der Boulez-Experte sicher eines Besseren belehren. Die intellektuelle Herausforderung hat sicher einen großen Anteil daran, warum ich mich gern und intensiv mit Musik auseinandersetze, ohne die emotionale Komponente bleibt eine Beschäftigung jedoch für mich mehr oder weniger reiz- und fruchtlos.

Dann doch lieber Reize in Hülle und Fülle sowie körbeweise Früchte in allen Geschmacksrichtungen aus der kompositorischen Lese des geliebten Hector Berlioz! Was habe ich mich darauf gefreut, die Sinfonie endlich wieder einmal live zu erleben. Und gleich eingangs mit der Korsaren-Ouvertüre lässt Pappano keinen Zweifel daran, dass das Werk des französischen Powerplayers hier und heute bei ihm und dem Londoner Ausnahmeorchester in den besten Händen liegt. Explosiv, spritzig, federnd, mit dem gebührenden Schmelz in den entsprechenden Passagen – raue See und Wildromantik, wie sie für einen Freund der Kontraste auf allen Ebenen wie mich nicht elektrisierender hätte ausfallen können. 

Und nach der Pause greifen Dirigent und Klangkörper diesen Elan mit der Episode aus dem rauschhaft-berauschenden Künstlerleben nahtlos auf und liefern eine Symphonie fantastique ab, die mich nach dem Furor des Hexensabbats mit einem teuflisch zufriedenen Grinsen in den allgemeinen Begeisterungssturm einstimmen lässt. Das London Symphony Orchestra trägt mit seiner Mischung aus technischer Perfektion und klanglicher Finesse einen großen Anteil daran, obgleich Pappanos Konzept vom ersten bis zum letzten Takt heute einfach unfehlbar scheint. 

Ob das Stürmen, Drängen und Sehnen des ersten, der Taumel und die Eleganz des zweiten, die Mahler und Co. vorwegnehmende Innigkeit und Tiefe der Außenwelt/Innenwelt-Illustration des dritten, das Unaufhaltsame des vierten oder das Archaische, scheinbar Chaotische und doch gleichzeitig so unfassbar kinnladensprengend Virtuose des fünften Satzes – es hat an diesem Abend einfach alles gepasst. Ich vergöttere dieses Stück und bin sehr froh, es heute so erlebt haben zu dürfen, wie ich es mir in den schönsten (Fieber-)Träumen erhofft hatte. Und das ganz ohne Opium, wohlgemerkt.

22. April 2025

Orgel pur – Olivier Latry. Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 4, Platz 8



Louis Vierne – Sinfonie für Orgel Nr. 3 fis-Moll op. 28

(Pause)

Pierre Cochereau – Boléro sur un thème de Charles Racquet 
für Orgel und Schlagzeug

Jean-Pierre Leguay – Letzter Satz / aus: Sonate für Orgel Nr. 1

sowie Improvisationen von Olivier Latry

Zugaben:

Alexandre Guilmant – Finale (Allegro assai) / 
aus: Sinfonie Nr. 1 d-Moll op. 42

Johann Sebastian Bach / Marcel Dupré – Sinfonia aus der Kantate 
»Wir danken dir Gott, wir danken dir« BWV 29


Olivier Latry – Orgel
Thomas Schwarz – Schlagzeug
Moisés Santos Bueno – Schlagzeug



Früher hätte mich die Pappnase, die ihr Handy nicht aus bekam, (oder bekommen wollte?) genötigt, wieder mal eine Abhandlung über die Verkommenheit der Welt im Allgemeinen und den Sittenverfall im Konzertleben im Besonderen zu verspeien. Heute reicht es zumindest noch für einen galligen Einstieg. Nützt ja nix. Die Welt ist voller Pappnasen und die Wahrscheinlichkeit, dass sich davon eine (genau genommen waren es heute derer zwei, wobei das erste Näslein recht schnell die richtige Taste fand) in die Elbphilharmonie verirrt, alles andere als gering. Ich möchte mich aber lieber auf jene Zeitgenossen fokussieren, die auch heute noch wie eh und je ein Herz für die Musik und Respekt für jene besitzen, die sie wieder und wieder zum Leben erwecken. Nichts weniger hat auch Herr Latry verdient, ein absoluter Meister seines Fachs, der mir spätestens mit seinen Einspielungen der Werke Messiaens ein Begriff geworden ist.

Von Louis Vierne findet sich das ein oder andere in meinem CD-Regal, die Sinfonie war mir aber bislang unbekannt. Ich kann nicht sagen, dass der Stil Viernes hier sofort Begeisterungsstürme bei mir hervorgerufen hat. Namentlich die Themen und Melodik haben mich (fürs erste zumindest) weniger abgeholt. Ungeachtet dessen sind einige Höhepunkte für mich hängengeblieben: Der Schlussabschnitt des zweiten Satzes – zart, zerbrechlich, irgendwie aus aus einer ganz anderen Sphäre. Ebenso der gesamte letzte Teil des anderen langsamen Satzes, des vierten – eine innige Melodie, berührend. Der dritte Satz insgesamt mit seinem verwunschen/verschrobenen Duktus nicht uninteressant. Nach dem ersten Hören haben mir die drei Mittelstücke jedenfalls besser gefallen als der Bombast in den ausladenden Ecksätzen.

Cochereau: Bolero mal anders. Crescendo und Decrescendo, eher Lohengrin-Vorspiel oder Messiaens „Apparition de l’église éternelle“ mit ihren Bogenformen als Ravels Tanzmaschine Richtung Kollaps. Die Kombination von Orgel und Schlagzeugern funktioniert in der Elphi-Akustik makellos, ob Zusammenspiel mit der Militärtrommel, Beckenschläge auf dem dynamischen Höhepunkt, oder Triangelglanz. Dazu bin ich hier in puncto musikalisches Material voll an Bord. Attestiert der Programmhefttext dem Werk vor allem einen mysteriösen, bedrohlichen Charakter, so ist die emotionale Gemengelage doch weitaus ambivalenter – Erhabenheit, Stolz und Triumph haben gleichsam ihren Platz in diesem mitreißenden opus. Oder um ein Urteil im YouTube-Jargon zu fällen: playlist! Keine Frage.

Mit dem Leguay kommt danach schwere Kost aufs Tableau, wenig melodisch, aber in Bezug auf Klangmixturen dafür sehr ergiebig. Außerdem kann Herr Latry mit diesem Stück seines Notre-Dame-Kollegen auf ganz andere Art virtuos glänzen. Nicht unbedingt berührend, aber Staunen machend.

Zu guter Letzt rundet noch die Facette des Improvisateurs Latry das offizielle Programm ab: Herr Cornelius betritt mit einem Notenblatt die Bühne und reicht es dem Solisten, der wiederum, nachdem er das Material einmal Zeile für Zeile vorgetragen hat, eine etwa viertelstündige Improvisation daraus kreiert. Leider war ich heute nicht in der Einführung, daher kann ich nur mutmaßen, wie die Auswahl der Fragmente vonstatten gegangen ist, mit der Latry offenbar spontan umzugehen hat. Außer dem „Freude schöner Götterfunken“-Thema habe ich dummerweise nichts bei der kurzen Präsentation erkannt, was die mögliche akustische Schnitzeljagd für mich etwas einschränkte, den Effekt aber nicht im Geringsten schmälerte – die vollkommene Faszination, einem ernsthaften, vielseitigen, komplexen, mal innigem, mal überbordend virtuosem, zum Ende hin triumphalen Gebilde bei seiner Entstehung (und gleichzeitigem Vergehen) live beiwohnen zu dürfen.

Die Besucher zeigen sich erfreulicherweise gleichsam begeistert darüber und ringen Latry noch zwei Zugaben ab: zuerst mit dem opulenten Finale aus Guilmants 1. Sinfonie einen vermeintlichen Rausschmeißer, bevor dann mit der Kunst Bachs (natürlich in der Bearbeitung eines Franzosen) die Pariser Außenstelle für heute ihre Pforten schließt.

2. April 2025

Royal Concertgebouw Orchestra. Klaus Mäkelä.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 13, Bereich E, Reihe 3, Platz 13



Arnold Schönberg – Verklärte Nacht op. 4
(Fassung für Streichorchester)


(Pause)

Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 1 D-Dur


Royal Concertgebouw Orchestra
Dirigent – Klaus Mäkelä


Das Zwischenfazit bis zur Pause: Klaus Mäkelä verteilt gern große Schellen und ich halte liebend gern beide Wagen hin. Nach dem aufpeitschenden Sacre (Link) mit Paris nun zuerst mal eine Verklärte Nacht, die zum Anschauungsunterricht für im besten Sinne effekt- weil ebenso wirkungsvoll gesetzte Akzente diente. Eine bis ins Detail ausgefeilte Artikulation, Kontraste im Ausdruck, lassen – viel mehr als schroffe Tempowechsel – den Gedankenfaden, die soghafte Überführung von einem Spannungsbogen in den nächsten aufs Vollkommenste gelingen.

Dabei kommt das Werk in dieser Lesart verblüffend zugänglich daher, da sie eher das gesanglich Spätromantische als das Dissonante betont, ohne dabei die sich darin zweifellos türmenden, stauenden, schließlich lösenden Reibungen glattzubügeln. Das Beste aus zwei Welten, könnte man sagen. Der dumme Spruch von der verwischten Tristanpartitur als Errungenschaft entlarvt – Wagner 2.0 ohne Abziehbildcharakter in einer Konsequenz, wie ich sie bei sonst bei kaum einem Stück kenne. Schade, dass Kollege Schönberg dann einen anderen Weg eingeschlagen hat. Sicher, musste wahrscheinlich alles so sein, damit ich nicht um meinen Hindemith oder Britten gebracht wurde.

Die Streicher aus Amsterdam klingen wie erhofft/gewohnt makellos seidig, etwa bei dem flirrenden, etwas an das Siegfried-Idyll erinnernden Intro zur darauf folgenden Passage im letzten Drittel ohne Schwere und Zweifel, oder auch bei dem ein oder anderen Zauberpianissimo gegen Ende. Zupackend geht aber selbstredend ebenfalls. Oder um den Bogen zum vorweg genommenen Zwischenfazit zu schlagen: bei Mäkelä folgen auf starke Gesten starke musikalische Momente. Leider bewegten sich Teile des Publikums nicht auf diesem Niveau – viele dumme Huster an sensiblen Stellen. Diesem Umstand war auch nach der Pause keine Besserung beschieden, im Gegenteil.

Ich Frage mich, wie groß der Anteil dieser Störfaktoren daran war, dass aus einem zur Pause schon sicher geglaubten Gesamt- nur ein Zwischenfazit wurde. Ich habe die Erste jetzt eine ganze Weile live nicht mehr gehört, aber sie ist mir wie all ihre Schwestern lieb und teuer, war sie doch (neben der Fünften) mein Einstieg in den Mahlerkosmos – Kubelik sei Dank. Diverse Gesamteinspielungen und Einzelaufnahmen sowie natürlich Liveerlebnisse später, hat sich mehr oder weniger herausgestellt, wie „mein“ Mahler sein muss, damit sich die himmlischen Freuden manifestieren. Wohlgemerkt führen dabei für mich durchaus mehrere Wege nach Wien (oder Iglau), von Soltis Starkstrom bis Maazels Wonnenmäander, oder, um beim Livevergleich zu bleiben, die Angebote von so verschiedenen Dirigenten wie Gergiev (Link), Honeck (Link) oder Salonen (Link) – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Umso schwieriger fällt es mir dennoch herauszuarbeiten, warum es Herrn Mäkelä heute nur in Maßen gelungen ist, mein Mahler-Herz zum Glühen zu bringen, obwohl eigentlich alle Vorzeichen (Schostakowitsch (Link), Strawinsky und jetzt der Schönberg) dafür sprachen. Und nein, eine überhöhte Erwartungshaltung möchte ich diesmal definitiv ausschließen – dafür sind die Passagen dieser Sinfonie, die mich mit dem richtigen Ansatz jedes Mal „kriegen“, einfach zu wirksam. Ich hatte den Eindruck, dass eben jene Züge, die mich ansonsten bei Mäkelä verzückt hatten, in seinem Mahler nur bedingt zünden. Auch hier nehme ich eine ungemein ausgeklügelte Konzeption in der Ausgestaltung der Artikulation wahr: was wird wann wie betont, geschärft oder gemildert. Und das alles ergibt auch vollkommen Sinn – nur eben keine Gänsehaut bei mir, geschweige denn mehr.

Es fühlt sich ein bisschen so an, als hätte Mäkelä alles eine Spur zu sehr unter Kontrolle, dabei befeuert er seine Orchesterkollegen stetig mit neuen Impulsen. In meinen Ohren stet Mahler ein „Ohne Rücksicht auf Verluste“ gut zu Gesicht, sich immer wieder (fast) zu verlieren, um sich neu sammeln zu können, ein Ringen, Quälen, Schnaufen und Fiebern, aus dem einen Oasen der Wehmut, Sehnsucht oder Kontemplation kalt und heiß erwischen. Geschichten ohne Worte, allgemeingültige Seelenaggregatszustände, eben eine ganze Welt in Tönen, wie sie Mahler besingen wollte. Heute habe ich leider in jedem der vier Sätze mehr Musik als Welt vernommen. Das ist nicht schlecht, handelt es sich bei Mahlers Stimme doch um eine, die für mich durch kaum eine andere übertroffen wird. Umso schmerzlicher wiegt da das, was hätte sein können.

Was hätte mir mehr zugesagt? Mehr Rubato? Tempokontraste? Eine Prise Chaos? Unsauberkeit? – der Effekt der in den „Trauermarsch“ reingrätschenden Kapelle im 3. Satz geriet für meine Begriffe einfach zu brav, zu kontrolliert, um nur ein kleines Beispiel zu nennen. Und inmitten aller Wucht und niederschmetternder Vehemenz des Finalsatzes muss das zarte, liebliche Thema diese Schwere und Verzweiflung durchbrechen wie ein Gedanke aus kaum erreichbar geglaubter Sphäre an die liebste Person, die man auf Erden kennt. Klingt zu kitschig, nach zu viel Pathos? Vielleicht ist es auch das – mein Sehnen nach Pathos (und Verausgabung).

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Mäkeläs Interpretation ist nie langweilig, in jedem Takt stimmig und definitiv „objektiv“ gesehen auch mitreißend. Spätestens im Finale, wenn er das Gewölbe des Schlusschorals in all seiner gleißenden Pracht und unmissverständlichen Wucht vor unser aller Ohren auftürmt, mit einem Schlussantritt, der seinesgleichen sucht, hat er auch den letzten im Saal von der triumphalen Schönheit dieser Musik überzeugt. So hält es unmittelbar an den Nachhall der Weltumarmungsexplosion kaum jemand auf den Sitzen, einen solch heftigen Standing-Ovation-Drang habe ich in der Elphi selten erlebt. Am Ende also doch wohl mein „Problem“, denn nur mit Mäkeläs sicher für die Kernzielgruppe vorteilhaften Erscheinung eines Traumschwiegersohns ist ein solcher Reaktionsausbruch nicht zu erklären.

Zum Concertgebouw lässt sich wenig Neues sagen. Ein Orchester, wie ich es mir erträume. Wahnsinn, wie sich hier die Qualität des produzierten Klanges mit der Gnade der akustischen Transparenz des Saales paart – was gibt es da nicht alles zu entdecken und erlauschen. Auch eine Solotrompete, die für meinen Geschmack eine Spur zu spröde agierte, aber das war es dann schon an „Misstönen“. Wie gesagt, ich hätte mir hier und da sogar eher mehr Mut zur Hässlichkeit gewünscht, namentlich bei den Einwürfen der Holzbläser an der ein oder anderen exponierten Stelle. Aber es bringt herzlich wenig, auf mikrostruktureller Ebene zu forschen, warum ich heute nicht mitgenommen wurde. Die Verbindung der Amsterdamer Edeltruppe mit ihrem neuen Chef verheißt in jedem Fall Großes für die Zukunft, so fühlt es mein heute unbewegtes Herz umso stärker.

30. März 2025

Ariadne auf Naxos – Ulrich Windfuhr. Elbphilharmonie Hamburg.

11:00 Uhr, Etage 12, Bereich B, Reihe 2, Platz 12



„Zum Glück wird heute nicht Salome oder die Frau ohne Schatten gegeben …“, meinte ich noch scherzend vor Beginn der Aufführung, im Wissen darüber, was Strauss mit diesen Werken für gewöhnlich an emotionalen Ausnahmezuständen in mir hervorzurufen weiß – nur um dann beim Schlussapplaus komplett die Kenntnis darüber verloren zu haben, wo mir Kopf und Herz standen. Ich kann da nur für mich sprechen, aber wenn man nahezu das komplette Aufeinandertreffen von Ariadne und Bacchus im Delirium verbracht hat, haben die ausführenden Künstler einiges richtig gemacht. 

Da wäre zuerst einmal Ulrich Windfuhrs referenzgültiges Dirigat – vom transparent-spielerischen Parlando des Vorspiels bis zur emotionalen Wucht der „Tristan mit Happy End“-Apotheose gelingt es ihm, die Fragestellung über den vermeintlichen Gegensatz von Leichtem und Schwerem, Heiterem und Ernstem auf der Bühne in durchweg involvierender, berührender Musik aufzulösen. Das Hochschul-Orchester präsentiert sich unter seiner Leitung als Klangkörper erster Güte. Einen ähnlich starken Eindruck machte die Kombination Windfuhr/HfMT bereits vor Jahren im kleinen Saal bei einer ebenfalls konzertanten Aufführung von Brittens „The Rape of Lucretia“ (Link).

Mein Kompliment gilt weiterhin dem gesamten Sängerensemble. Besonders hervorzuheben sind hierbei Soo In Park als Komponist und Caroline Arruda Pereira dos Santos als Zerbinetta. Letztere gab über den rein stimmlich-technischen Faktor hinaus ein schönes Beispiel davon, dass es für einen rundum gelungenen Vortrag – wie es das Wort Musiktheater ja auch nahelegt – mehr braucht als korrekt ausgeführte Tonhöhen und -werte. Frau dos Santos legte selbst in dieser rein konzertanten Aufführung eine herrliche Spielfreude an den Tag, die nicht allein in Gestik und Mimik, sondern damit verbunden nicht weniger im Ausdruck des Gesungenen Widerhall fand. Dieses Prinzip der gelebten Rolle haben die "alten Hasen" Kaune und Behle natürlich zur Vollendung verinnerlicht – vom divenhaften Gehabe der Primadonna und des Tenor-Charakters im Vorspiel bis zu derer beiden gemeinschaftlichen Auslotung des Transzendentalen im Finale der Oper.

Fazit: Gewitzt und tief bewegend muss kein Widerspruch bleiben – das Beste aus zwei Welten wurde heute vollendet verschmolzen. Ganz ohne Bühnenbild und Personenregie, dennoch Musiktheater in all den Facetten, die es so wertvoll, relevant und persönlich machen. Vielen Dank.


Ariadne auf Naxos
Oper in Einem Aufzug nebst einem Vorspiel
(
Konzertante Aufführung)
Musik – Richard Strauss
Libretto – Hugo von Hofmannsthal

Der Haushofmeister 
– Michael Becker
Ein Musiklehrer 
– Hyunwoo Mario Park
Der Komponist 
– Soo In Park
Primadonna/Ariadne 
– Michaela Kaune
Der Tenor/Bacchus 
– Daniel Behle
Der Offizier 
– Jason September
Der 
Tanzmeister – David Heimbucher
Der Perückenmacher/Lakai – Kazushi Yamada
Zerbinetta – Caroline Arruda Pereira dos Santos
Harlekin – Myeonjong Jo
Scaramuccio – Wonjun Kim
Truffaldin 
– Hyundwoo Park
Brighella 
– Yuto Todoroki
Najade 
– Virginia Ferentschik
Dryade – Julia Baier Tarasowa
Echo 
– Nicola Meyer

Symphonieorchester der Hochschule für Musik und Theater Hamburg
Gesangsklassen der HfMT und der Musikhochschule Lübeck 
Dirigent – Ulrich Windfuhr


25. Februar 2025

Orchestre de Paris – Klaus Mäkelä.
Elbphilhamonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Maurice Ravel – Le tombeau de Couperin (Fassung für Orchester)

Claude Debussy – Nocturnes /
Sinfonisches Triptychon für Orchester und Frauenchor

(Pause)

Igor Strawinsky – Le sacre du printemps /
Bilder aus dem heidnischen Russland


Orchestre de Paris
Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien
Dirigent – Klaus Mäkelä



Ravel: Ich liebe dieses kleine, feine Stück. Die ersten beiden Sätze geht Mäkelä zwar etwas anders an als gewohnt (hab seinerzeit die Abbado-Einspielung rauf und runter gehört), aber dennoch prima – luftig-duftig, federnd. So soll es sein. Highlight ist der ruhige Satz: topp in der Ausgestaltung der Spannungsbögen.

Debussy: Auch wunderbare Musik, besonders live mit dem Chor ein akustisches Erlebnis. Erst heute bemerkt: das Fagottsolo im 2. Satz schlägt die Brücke zum Beginn des Sacre – klar, das Programm wurde sicher nicht ohne Grund so zusammengestellt. Man merkt überhaupt: Das Tänzerische verbindet alle Werke des Abends.

Wobei „tänzerisch“ für die Dampframme aus der Feder Strawinskys nach der Pause heute wirklich Understatement wäre. Spannung und Präzision, ein tierischer Groove vor allem im zweiten Teil. Über Rausch und Ekstase ist im Zusammenhang mit diesem Werk schon viel geschrieben worden, in der heutigen Präsentation hatte das regelrecht etwas von einem Rave. Absolut im Tunnel. Und Mäkelä reitet mit seinem Orchester die Wellen auf der letzten Schaumkrone, ohne jemals Gefahr zu laufen, dabei Halt und Zug zu verlieren. Ein Wahnsinns-Sacre, wie ich ihn Live in dieser Intensität höchstens noch von seinem Landsmann, Esa-Pekka Salonen abgerufen erlebt haben dürfte. Pure, rohe, durch Kanalisierung ins Unaushaltbare gebündelte Energie, die ihren Weg überall hin findet – Ins Ohr, ins Herz, und nicht zuletzt in jede Faser selbst solcher Körper (wie meinen), für die unter Normalbedingungen ein wippender Fuß die größtmögliche Annäherung an das Konzept Tanz darstellt.

26. Januar 2025

Mahler Chamber Orchestra – Mitsuko Uchida.
Elbphilharmonie Hamburg.

20:00 Uhr, Etage 12, Bereich D, Reihe 3, Platz 4



Wolfgang Amadeus Mozart – Konzert für Klavier und Orchester
B-Dur KV 456

Leoš Janáček – Mládi (Die Jugend) für Bläserensemble

(Pause)

Wolfgang Amadeus Mozart – Konzert für Klavier und Orchester
C-Dur KV 467

Zugabe der Solistin:
Arnold Schönberg – Klavierstück Nr. 2 /
aus: Sechs kleine Klavierstücke op. 19


Mahler Chamber Orchestra
Mitsuko Uchida – Klavier und Leitung



Fazit vorweg: 1. Halbzeit überraschend erfrischend, 2. Halbzeit Snoozefest

Mozart zum Ersten: mir unbekanntes Klavierkonzert entpuppt sich als ungewohnt involvierend. Uchidas Ansatz im Orchester elegant-federnd (1. Satz), behutsam-innig (2. Satz) überzeugt entgegen meiner sonst bevorzugten ruppigen Lesart. Liegt aber wohl auch am Stück selbst, gerade der zweite Satz enthält Tiefe und Innigkeit (wie z.B. die Bläser das hoffnungsvolle Thema nach der verzweifelten Episode anstimmen, welches das Klavier dann übernimmt). Finale nicht der Oberrausschmeisser aber durchaus zwingend. Uchida mit perlendem Anschlag.

Janacek: spannendes kleines Bläserstück. Erster Satz: Jugendthema erinnert an Williams/Hook/Peter Pan? Generell tolle Kombinationen und Klangfarben.

Mozart zum Zweiten: eines der bekanntesten Konzerte lässt mich absolut kalt. Musikalisches Material langweilig, man weiß jederzeit was kommt und anstatt sich auf etwas davon zu freuen, erdulde ich unter höchster Anstrengung den Fortgang. Heute vielleicht nicht ganz die übliche Quälerei, hat aber immer noch nichts mit Genuss zu tun, weder intellektuell noch emotional berührend. Einfach frustrierend. Uchida doch nicht so toll? Zweiter Satz irgendwo zwischen unangenehm süßlich und langweilig.

Die Zugabe dann mehr als befremdlich: Hurz-Vibes, das Ganze gefühlt keine Minute lang. Später stellt sich der Übeltäter raus – Schönberg, natürlich.